Krisen als Chance
Angesichts der globalen Dimension sind die verschiedenen Krisen (Krieg in der Ukraine, Corona-Pandemie, Klimakrise) und deren Auswirkungen schwer zu fassen.
Politische Entscheidungen und gesellschaftliche Entwicklungen verändern unseren Alltag. Krisen können auch als Chance für eine Entwicklung hin zu einer besseren Zukunft mit mehr Zusammenhalt und nachhaltigem Leben mit der Umwelt verstanden werden. Im Sinne von „Global denken – lokal handeln“ sind Anstrengungen jedes einzelnen Menschen notwendig, die sich für Verbesserungen einsetzen. Davon profitieren wir alle, indem wir Ressourcen umweltbewusst verwenden.
Laut der vorliegenden Energie- und CO2-Bilanzen von Sandhausen1 emittierten die Bereiche „Private Haushalte“ und „Transport“ im Jahr 2017 jeweils über 37.000 t CO2. Damit waren sie für ca. 85 % des gesamten CO2-Ausstoßes in Sandhausen verantwortlich. In Relation zum Bundesdurchschnitt von 8.86 t/Jahr/Person liegt der Gesamtverbrauch in Sandhausen pro Person erfreulicherweise im Schnitt mit 5,94 t/Jahr darunter.
Wohnen und Mobilität werden aber nicht nur am CO2-Verbrauch gemessen, sondern an vielen weiteren messbaren Faktoren wie Flächenverbrauch, Versiegelung und Lärm. Auch Aspekte wie Lebensqualität, Stress oder Engagement sind wichtige Messgrößen.
Und darum geht es mir in diesem Artikel. In den Sitzungen des Technischen Ausschusses frage ich mich oft, welche Auswirkungen es hat, wenn neue Häuser im rückwärtigen Bereich (d.h. im Garten) gebaut werden. Haben wir genügend Grünflächen? Haben wir genügend Parkplätze? Sollten Häuser nicht eher in die Höhe gebaut werden? Bleibt Sandhausen noch ein Dorf, wo die Leute sich noch kennen, oder wird es zu einer anonymen Stadt? Fragen über Fragen, über die ich mir den Kopf zerbrochen habe. Aus diesen Gründen habe ich vergangenen Herbst einen Vortrag zum Thema Stadtentwicklung in einem kleinen Kreis aus GAL-Mitgliedern gehalten und anschließend mit ihnen darüber diskutiert.
Eins steht fest: Das „Gesicht“ von Sandhausen wird sich verändern. Und wir haben die Möglichkeit, den Wandel zu beeinflussen.
Ich habe mir vorgenommen, den Themenkomplex und die Wechselwirkung von Stadtentwicklung und Mobilität umfassend darzustellen. Aufgrund der Informationsfülle wird sich der Artikel über drei Teile erstrecken, die wöchentlich erscheinen. Der erste Teil behandelt die Entwicklung von Einwohnerzahl, Versiegelung, Siedlungsdichte und Wohnflächen. Im zweiten Teil stelle ich Möglichkeiten der Wohnraumschaffung vor, einerseits als Ausweisung neuer Baugebiete, andererseits als Innenentwicklung, auch Nachverdichtung genannt. Der letzte Teil behandelt eine Lösung der Stadtentwicklung: „Stadt der kurzen Wege“.
Teil 1: Fakten zur Entwicklung in Sandhausen2
Fakt 1: Die Bevölkerung steigt
Die Einwohnerzahl Sandhausens hat sich in den letzten 60 Jahren verdoppelt, während sie in ganz Deutschland im gleichen Zeitraum nur leicht von 72 auf 82 Mio. angestiegen ist. Die Gründe für den Zuzug sind vielfältig. Sandhausen liegt in der Metropolregion Rhein-Neckar, die starke Verflechtungen und Beziehungen zwischen Kommunen und Großstädten, v.a. Heidelberg und Mannheim, aufweist.
Der Zuzug ist aktuell weiterhin ungebrochen. Dies steht im Widerspruch zu der Bevölkerungsvorausberechnung aus 2017, die davon ausgeht, dass es im Jahre 2020 ca. 15.200 und im Jahre 2035 ca. 15.440 Einwohnerinnen und Einwohner in Sandhausen geben werde. 2020 wohnten tatsächlich bereits 15.400 Menschen in Sandhausen und ein Ende des Wachstums ist nicht absehbar.
In den letzten Jahrzehnten gab es gleichzeitig massive Siedlungserweiterungen. Viele Menschen wohnen nun dort, wo es früher unbebaut war. (Falls Sie mehr über den Verlauf der Erweiterungen wissen möchten, kann ich Ihnen die Luftbilder von Sandhausen, die im Rathaus an den Wänden aufgehängt sind, empfehlen.)
Im gleichen Maße stieg die Flächenversiegelung und damit einhergehend der Verlust der Grünflächen durch Siedlungs- und Verkehrsflächen, so dass Sandhausen laut den Statistiken in den letzten Jahrzehnten konstant kompakter gebaut wurde.
Die Siedlungsdichte (Siedlungs- und Verkehrsfläche) beträgt heute knapp über 4000 EW/km2. In Großstädten liegen die Werte der Siedlungsdichten deutlich höher, in ostasiatischen Räumen noch ein Vielfaches höher. Bei näherer Betrachtung habe ich bisher in den meisten Kommunen in Deutschland vergleichbare Daten gefunden: Je mehr Bevölkerung eine Kommune hat, desto dichter ist sie in der Regel.
In Bezug zu der Bevölkerungsdichte möchte ich den Aspekt „Lebensqualität“ behandeln.
Es gibt Stadtteile mit über 10.000 EW/km2, die trotzdem eine hohe Lebensqualität haben, zum Beispiel der Stadtteil Vauban in Freiburg (Bild 2, rechts). Bei der Anlage des Stadtteils wurden von Gartenarchitekten in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung drei Grünspangen angelegt. Alle Wohnstraßen sind verkehrsberuhigte Bereiche. Durch den Verzicht auf Stellplätze sind die meisten öffentlichen Wohnstraßen für kinderfreundliche Freizeitaktivitäten nutzbar.
Der Freiburger Stadtteil gilt als Beispiel für besondere urbane Lebensqualität. Allerdings gibt es individuelle und durchaus unterschiedliche Vorstellungen darüber, was Lebensqualität bedeutet. Es gibt Menschen, die der Meinung sind, sie benötigen viel Platz und Grün. Anderen wiederum sind andere Faktoren wie die Erreichbarkeit und Angebote in ihrer Umgebung wichtiger. Insgesamt konnte ich erfahren, dass viele urban, aber auch im Grünen wohnen möchten.
Fakt 2: Belegungsdichte nimmt ab
Wenn aktuell Politikerinnen und Politiker für mehr Wohnraumschaffung plädieren, lohnt es sich, genauer hinzuschauen.
Die Entwicklung des Wohnraumes hängt von der Belegungsdichte sowie der Wohnfläche ab.
Die Belegungsdichte, auch Haushaltsgröße, ist davon abhängig, wie viele Personen in einem Haushalt leben. In Sandhausen sinkt dieser Wert kontinuierlich in den letzten 60 Jahren von durchschnittlich drei auf zwei Personen pro Haushalt (Diagramm 2).
Fakt 3: Größere Wohnungen
Vorherige Erkenntnisse haben gezeigt: Sinkende Belegungsdichte und höhere Wohnfläche pro Person führen zu insgesamt größeren Wohnungen.
Wie bereits erwähnt, wird es in Zukunft mehr Single-Haushalte geben, die im Schnitt mehr Wohnfläche benötigen als Mehrpersonen-Haushalte. Nicht zu vernachlässigen ist ebenfalls die Tatsache, dass viele Wohnungen für Familien gebaut wurden, aber nach dem Auszug der Kinder nun „zu groß“ für das Ehepaar sind und somit den Platz für nachfolgende Familien potenziell „belegen“. Ich bin mir sehr bewusst, dass es jeweils gute Gründe für die persönliche Entscheidung gibt, nicht in eine kleinere Wohnung zu ziehen. Dennoch sollte die Politik hier mehr Anreize setzen und attraktive Angebote schaffen.
Außerdem gibt es noch weitere Effekte, die zu größeren Wohnungen führen, wie gestiegener Wohlstand und höhere Ansprüche, z.B. Gäste-Toilette. Noch ungewiss ist, ob in Folge der Corona-Pandemie Anforderungen wie ein eigenes Büro zu Hause (Home-Office) ebenfalls zur Wohnflächenvergrößerung beitragen.
Fazit
Zusammenfassend kann ich viele Ansprüche und Anforderungen nachvollziehen und denke auch, dass sie dem heutigen Standard entsprechen, z.B. dass ein eigenes Zimmer für (ältere) Kinder sinnvoll ist, oder dass es praktisch ist, Platz in der Wohnung zu haben. Dennoch sehe ich die Bequemlichkeit, die zu immer größeren Wohnungen führt, kritisch.
Schlussfolgernd stelle ich fest, dass in Zukunft mehr und sogar noch größere Wohnungen für weitere Bewohnerinnen und Bewohner Sandhausens gebraucht werden.
Dies führt jetzt schon zu Problemen bei der Ausweisung neuer Bauflächen – je nachdem wie sie gestaltet werden auch zu massiven Flächenversiegelungen. Welche Auswirkungen sie haben und wie sie minimiert werden können, darüber können Sie in der nächsten Ausgabe mehr erfahren.
Quellennachweise