Auch Querdenker kann man zurückholen

8. Februar , 2021

Wie es zu Verschwörungsmythen kommt und was man dagegen tun kann

Was steckt hinter den Protesten der selbst ernannten Querdenker und was macht selbst absurdeste Verschwörungsmythen so anziehend, dass sie – gerade auch hier in Baden-Württemberg – zahlreiche Anhänger finden?

Dieser Frage ging Norbert Knopf, Landtagskandidat der Grünen im Wahlkreis Wiesloch, gemeinsam mit Fachleuten nach. Als Extremismus-Experte und Mitglied des Landesvorstands der Grünen bot Marcel Emmerich einen Überblick über die Situation in Baden-Württemberg. Der Geschichtswissenschaftler Moritz Hoffmann ging auf die Wurzeln der Verschwörungsmythen ein, die bis ins Mittelalter zurückreichen.

Warum ist Verschwörungsdenken im Land so verbreitet?

Die Stuttgarter Querdenken-Gruppe gilt als Keimzelle der bundesweit aktiven Corona-Protestbewegung. Im Jahr 2020 hat sie in Baden-Württemberg über 700 Versammlungen in großen und kleinen Städten organisiert, so auch in Walldorf, wo montags regelmäßig kleinere Versammlungen stattfinden.

Marcel Emmerich beruft sich auf den Antisemitismusbeauftragten Michael Blume, wonach eine gewisse Obrigkeitsskepsis und anti-aufklärerische Wissenschaftsfeindlichkeit im Land schon lange verbreitet sind. Er nennt die evangelische Strömung des Pietismus sowie esoterische und anthroposophische Milieus.

Neben Reichsbürgern versuchen AfD und Rechtsextreme die Bewegung zu übernehmen. Inzwischen ist die Querdenken-Szene auch ins Visier des baden-württembergischen Verfassungsschutzes geraten. „Wer da mitläuft muss sich darüber klar sein, was er unterstützt“, so Emmerich.

Wie leicht man in Verschwörungsdenken hineingeraten kann, hat er in seinem Umfeld erlebt. Die Pandemie ist eine gesellschaftliche Herausforderung, die viele Menschen verunsichert und Existenznöte verursacht. Mancher ist mit der Situation überfordert.

Verschwörungsmythen vereinfachen und bieten vermeintlich einen Ausweg. Dabei knüpfen sie an tradierte Muster und bestehende Ressentiments an und aktivieren diese. „Für uns klingt es absurd, aber wenn man einmal drin ist, ist es ein geschlossenes Weltbild, das ganz gut funktioniert“, so Emmerich.

Was sind die Wurzeln der aktuell kursierenden Verschwörungsmythen?

Fast alle Verschwörungstheorien haben einen judenfeindlichen Kern, stellt Geschichtswissenschaftler Moritz Hoffmann fest. Juden waren im Mittelalter eine diskriminierte Minderheit. Sie waren als Gottesmörder verschrien, durften keine Handwerksberufe ausüben und keine Landwirtschaft betreiben. In der Nische des Geldverleihs, wie in manchen anderen Bereichen des Handels, wurden sie geduldet.

 Weitreichende Folgen hatte die so genannte Ritualmordlegende. 1144 wurde in England ein zwölfjähriger Junge unter ungeklärten Umständen ermordet und Jahre später von Interessengruppen zum angeblichen Opfer eines jüdischen Ritualmordes erklärt. Diese Legende begründete die Verschwörungstheorie eines angeblichen Weltjudentums, das sich heimlich für schwerste Verbrechen an Nichtjuden verabrede.

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ knüpfen an diese Erzählung an. Die erfundenen Texte geben vor, geheime Dokumente eines angeblichen Treffens von jüdischen Weltverschwörern zu sein. 1903 in Russland erschienen, wurden sie international verbreitet. In einem Moment extremer Unsicherheit als es eine große Sehnsucht nach konsequenter Weltdeutung gab, benutzen die Nationalsozialisten sie zur Volksverhetzung. Noch heute werden die „Protokolle“ herangezogen, zum Beispiel relativiert der Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon (ehemals AfD) die längst belegte Fälschung.

Die Weltdeutung einer angeblichen jüdischen Weltherrschaft treibt noch heute seltsame Blüten. Norbert Knopf erinnert an den offen antisemitisch auftretenden Kochbuchautor Attila Hildmann, wie auch an den QAnon-Verschwörungsmythos über Satan verehrende und Kinderblut trinkende „Eliten“. Verbreitet ist dieser absurde Irrglaube in den USA, doch längst mischen QAnon-Anhänger bei den hiesigen Querdenker-Demos mit. Und auch die Attentäter von Hanau und Halle waren Anhänger von QAnon, weiß der Historiker Hoffmann.

An den Corona-Protesten sind nicht sehr viele beteiligt, der Großteil steht hinter den Maßnahmen, betont er. Dennoch gehe von ihnen eine große Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt aus.

Was kann man tun?

Menschen im Verschwörungswahn scheinen Argumenten nicht mehr zugänglich. Dennoch sollte man sie nicht aufgeben, sondern ins Gespräch gehen, aufklären und sie nicht allein lassen, rät Marcel Emmerich. Und bei antisemitischen Äußerungen muss man dazwischen gehen.

Fake News verunsichern und bieten einen Nährboden für Antisemitismus. Dagegen helfen Informationen über verlässliche Quellen, Fakten-Checks, etwa vom Recherchekollektiv Correctiv, oder gezieltes Entlarven wie beim Weblog „Volksverpetzer“.

Die Radikalisierung im Netz äußert sich zunehmend in realer Gewalt. Geschlossene Telegram-Gruppen spielen dabei eine wichtige Rolle, da hier fast alles erlaubt ist. Das Netzwerksdurchsuchungsgesetz, das Anbieter sozialer Netzwerke in die Pflicht nimmt, muss auf hybride soziale Plattformen wie Telegram ausgeweitet werden, fordert Emmerich.

Dass Projekte zur Demokratieförderung verlässliche Förderung erhalten und Beratungsstellen ausgebaut werden, gehört zu den Vorhaben im Grünen Wahlprogramm zur Landtagswahl.

„Ich glaube, dass ganz viele Leute zurückfinden in eine halbwegs vernunftorientierte Mehrheitsgesellschaft“, ist Hoffmann überzeugt. Als Beispiel nennt er den Nationalsozialismus, der zu einer großen Verschwörungstheorie geworden sei.

Nach dem zweiten Weltkrieg sei es gelungen, viele in die Demokratie zurückzuholen.

Auch Querdenker kann man zurückholen – diese positive Botschaft nimmt Norbert Knopf gern mit. Was aus seiner Sicht hilft: Stimme sein für Demokratie und Vielfalt, Vernunft und Verstand und für den Zusammenhalt der Gesellschaft.

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